Nur der erste Monat unserer Weltreise war geplant. In Russland wusste ich schon vorher, wo wir hinfahren würden, was es wo zu sehen gibt. In der Mongolei und in China hatten wir noch einen Reiseführer. Immerhin. Nepal erkunden wir jetzt blind. Für mich ein Experiment.
In Russland hatte ich oft ein „Oh, das kenne ich von Fotos“-Gefühl. Die Aufnahmen der Bahnhöfe hatte ich alle in Blogs gesehen. Wenn wir aus dem Zug stiegen, sagte ich „dahin“, ich hatte mir die Karte angeschaut, kannte den Weg. In unserer ER-SIE-Weltreise bin ich es, der gerne vorbereitet ist. In Nepal will ich mal schauen, wie es ist, das mal nicht zu sein.
Ich bin überrascht von mir selbst, dass ich mir erst in Chengdu in China, einen Tag vor Abflug, die Wettervorhersage für Kathmandu anschaue. 27 Grad. Irgendwie 20 Grad wärmer als erwartet. Nepal, das sind weißbedeckte Berge, Achttausender, ewiges Eis, Höhe und Kälte.
Landen in den Tropen
Nach sieben Tagen im tibetischen Teil Sichuans hatte ich mich auf Temperaturen um den Gefrierpunkt eingestellt. Den Kamelhaar-Pulli aus Ulaanbaator immer dabei. Geschlossene Schuhe, Jeans.
Wir landen in den Tropen. Die Luft ist feucht, die lange Kleidung klebt. Der erste Eindruck: Indien. Die Gerüche von Räucherstäbchen und Masala. Die Frauen mit hinduistischem roten Bindi auf der Stirn. Und, wieder nicht daran gedacht: Linksverkehr, natürlich. Im Hostel die nächste kleine Überraschung: Es sind Ferien, der Koch ist für ein paar Tage bei seiner Familie im Dorf, es gibt nur ein Gericht.
Hätte es was geändert, ich hätte davon gelesen? Wahrscheinlich nicht. Und doch ist da so ein Gefühl, das mitschwinkt. Nicht vorbereitet sein, heißt etwas verpassen können.
SIE hatte irgendwo gelesen, dass die Altstadt von Kathmandu so schön sein soll, die junge Frau von der Rezeption schreibt ihr den Namen „Bhaktapur“ auf. Mit dem Stück Papier in der Hand fragen wir uns zum Busbahnhof durch, eine knappe Stunde fährt uns der klapprige Tata-Bus durch die Stadt, hält alle paar Meter, um noch einen Gast in den Gang zu quetschen.
Dann winkt uns der Bus-Junge, der das Geld einsammelt, raus. Wir sind da. Unfassbar diese Stadt, fast unverändert seit Jahrhunderten, die alten Bauten, die 82.000 Menschen, die in den engen Gassen leben, die Tempel-Anlagen.
Unfassbar auch, dass der Eintritt für uns zusammen fast 30 Euro kostet. Ich hatte mich nicht informiert, sonst hätten wir wohl den gesamten Tag dort verbracht und wären nicht erst nachmittags hingefahren.
Vorbereitungen aufs Trekking: Null
Unsere einzige vagen Vorstellungen von Nepal: Dort kann man gut wandern. Wir haben gehört, besonders um Pokhara soll es schön sein.
Ich prüfe das nicht, wir fahren los, knapp acht Stunden gen Westen. Wir zahlen 700 Rupies, zu viel, doch das wissen wir zu diesem Zeitpunkt nicht.
Was ich auch nicht ahnte: Die kleine Stadt liegt wunderbar umgeben von zwei Reihen Bergen. Die erste Reihe ist grün, mit Bäumen bewachsen, an der einen Flanke steht eine weiße Stupa auf dem Gipfel. Dahinter ragt das Himmalaya-Gebirge mit dem Annapurna – einer der tödlichsten Achttausender der Welt. Unten in der Stadt auf nicht mal 800 Metern spiegelt sich der gefährliche Gipfel im ruhigen Wasser des Phewa-Sees.
Mein erstes Positiv-Gefühl: Unvorbereitet sein heißt auch tief getroffen von der Schönheit des Neuen zu sein.
Von Pokhara aus wollen wir trekken, zum Annapurna Base Camp auf 4100 Metern soll es recht einfach sein, manche nehmen ihre Kinder mit, dann können wir es auch schaffen. Wir haben keine Wanderschuhe, keine Multifunktionshose, keine Ahnung, wie schwer oder kalt es wird. Doch wir denken, wenn wir nicht mehr weiter kommen, steigen wir wieder ab. Ganz einfach unvorbereitet wie wir sind.
Und dieses neue Gefühl schwingt mit: Mal schauen. Mal schauen, wie der Ausblick wird, und mal schauen, ob es schöner ist, nicht vorbereitet zu sein.
Epilog
Hier sollte der Text eigentlich zu ende sein. Und genau dann fängt es an zu regnen.
Zwei Tage lang. Ein Zyklon hat Indiens Ostküste getroffen, die Ausläufer bringen Nepal tropische Regenstürme. Unmöglich, so zu wandern. Egal, wie vorbereitet und ausgerüstet man ist. Dafür ist Zeit, Berichte über den Wanderweg zu lesen. Es ist machbar, wir kaufen uns noch Handschuhe und Regencapes.
Und es ist Zeit, den Reiseführer für unser nächstes Ziel Myanmar zu studieren. Ich habe ihn schon zur Hälfte durch, die Visas online bestellt und Busverbindungen nach Bangkok gecheckt.
Irgendwie spießig beruhigend.
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