Sie sind nicht sanft, sie lassen sich keine Zeit. Sie knallen zu, ohne Vorwarnung. Die Türen der Moskauer Metro sind wie die Stadt selbst.
Wir können kein Russisch, wir werden angeblafft, die Sprache ist kantig, die Sätze wie Maschinengewehr-Feuer. Die Menschen schieben sich an uns zu den überschnellen Rolltreppen vorbei, wer stehenbleibt, hat verloren.
Wir sehen die Moskoviten in der Metro, sie stellen sich schon lange vor Ankunft im Bahnhof vor die Metro-Tür, um sicher zu gehen, dass sie rauskommen. Wer aussteigt, muss sich rausdrücken, vorbei an denen, die sich reindrücken.
In den Waggons ist es stickig, die Haut klebt an der Kleidung. Durch die offenen Fenster-Schlitze hallt das laute Knirschen der Schienen. Die Moskauer Metro ist die schnellste der Welt, fährt fast 100 km/h.
Die U-Bahn in Moskau sei ein Kunstwerk, heißt es immer, die Stationen seien unterirdische Paläste. Das stimmt für die in der Innenstadt. Dort sind die Haltestellen prunkvoll im Stile des sozialistischen Klassizismus‘ gebaut, überragt ihrem gewollten Reichtum manch Kreml-Architektur. Das bis zu 84 Meter unter der Erde.
Das repräsentative Moskau aus der Stalin-Zeit hört außerhalb der Ringbahn auf.
Dort fängt das echte Russland an. Keine wasserspeienden Figuren in maßlos großen Brunnen, keine Kathedralen mit goldenen Türmen in Tulpenform. Außerhalb des Rings gewinnt quadratischer Pragmatismus: Hier reihen sich seelenlose 15-Geschösser aneinander, hier ist es nicht schön. Aber hier ist es, wo Moskau lebt. Und hier ist es, wo ich gelernt habe, Moskau zu lieben.
Die Station Bibirova, in dessen Nähe wir bei unser Couchsurfer-Gastgeberin Julia und ihrem Mann Michail unter gekommen sind, ist spartanisch, praktisch, schnörkellos.
Es kann kaum einen stärkeren Kontrast geben zwischen den grauen Zweckbauten der Sowjet-Zeit in Bibirova und Julia, die immerfreundliche 29-Jährige, die uns für drei Nächte aufnimmt. Sie mag ihre Wohnung mit Fernblick, in der man jeden Zug vorbeirattern hört. Sie mag ihren Mann, der täglich lange arbeitet, um sie und den 3-jährigen Maxim durchzubringen. Und mag Reisen, war in Thailand, in den USA, in China. Als nächstes ist Australien dran.
Sie hat das Bett gemacht, wir sollen duschen, „wollt ihr Wäsche waschen?“. Wir werden wie Freunde empfangen.
Zusammen gehen wir in drei verschiedene Parks, sie will uns das schöne Moskau zeigen, das grüne, das saubere, das ruhige. Das Moskau, wie man es sich nicht vorstellt. Abends kocht sie uns in ihrer Drei-Zimmer-Wohnung im 11. Stock Pelmeni, Mickail kauft Bier, Chips. In der Küche spielen wir Karten, reden, lachen, während in der Ferne die Sonne hinter den Beton-Klötzen untergeht.
Und plötzlich erscheint mir die Stadt ganz sanft, der graue Waschbeton hat Leben bekommen. Moskau hat eine Seele.
2 comments for “ER – Das schönste Moskau liegt weit draußen”